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NEUE VORRICHTUNG IN DER FABRIK DES LETZTEN MENSCHEN

Oliver Rey, Juni 2012

vom Franz. Mc, Lager Lenzburg, Schweiz, Oktober 2012

Wir kennen die Geschichte des Mannes, der einem anderen einen Topf ausleiht und sich beklagt, nachdem er sein gut zurückgeholt hat, dass es ein Loch darin hat. Zu einer Verteidigung sagt derjenige, der den Topf geliehen hat, dass er den Topf ganz zurückgegeben hat, der andererseits schon ein Loch hatte als er ihn sich ausgehliehen hat, und in jedem Fall habe er diesen Topf doch nie nie geliehen. Einzeln genommen wären diese Rechfertigungen durchaus logisch. Aber ihre Bündelung, die eigentlich überzeugender wirken möchte, entbehrt jeglicher Kohärenz. Nun müssen sich aber alle, welche die Angemessenheit einer massiven Verbreitung dieser oder jener technischen Innovation in Frage stellen, immer genau mit solchen Argumentknäuel auseinandersetzen. Zuerst, um uns zur vollen und bedingungslosen Zustimmung der betreffenden Technik zu überzeugen, erklären uns deren Förderer bis zu welchem Punkt diese unser Leben verzaubern wird. Trotz solch vorteilhafter Präsentation kommen Sorgen auf: so bedeutende Umwälzungen wie die angekündigten können nicht nur positiv sein, es gibt sicher unheilvolle Effekte, die man in Betracht ziehen muss. Dann ändert die Strategie ihr Gesicht: anstatt die radikale Neuheut der zur Diskussion stehenden Technik in den Vordergrund zu stellen, bemüht man sich, uns, im Gegenteil, zu belegen, dass sie sich in der absoluten Kontinuität dess einschreibt, was der Mensch, und sogar die Natur, seit allen Zeiten schon immer tut. Auf die Einwände wird also nicht mal erst eingegengen, man ignoriert die Sache einfach. Schlussendlich, für die Gegner, welche die Waffen immer noch nicht gestreckt hätten, wird die dritte Art Argument bemüht: sinnlos darüber zu diskutieren, diese Entwicklung ist jedenfalls unausweichlich. Dieses Schema wird unendlich reproduziert. Nehemen wir z-B. Die Klonierung. Die Herrschaften einer möglichst grossen Verbreitung dieses Vorgehens beschreiben, voller Begeisterung, in den schönsten Farben die ausserordentlichen Vorteile, die es der Menschheit bringen wird. Angesichts einer dermassen gradiosen Perspektive kann die auch minimalste Hemmung dich nur geistige Zurückgebliebenheit, Abstumpfung in religiösem Obskurantismus von anderen Zeiten geerbte Reflexe bedeuten1. Für die Widerstände, die von diser ersten Klinge noch nicht eliminiert werden konnten, kommt die zweite zum Zuge: es gibt keinerlei Grund sich gegen die Klonierung zu erhitzen, da in der Natur die Zellenteilung ja unaufhörlich vorkommt, und alle, die gegen die Klonierung sind, sind also gegen das Leben an sich; und auch an der menschlichen Klonierung gibt es nicht erschrekcendes, da es ja eineiige Zwillinge schon gibt, etc. und ganz am Schluss geht man für die Unbeugsamen zur dritten Klinge über: jeder Widerstand ist ein Rückzugsgefecht, zu Scheitern und zur Lächerlichkeit verurteilt, wenn irh es nicht tut werden es einfach die Asiaten tun, den Fortschritt kann man nicht aufhalten. Dasselbe mit den gentechnisch veränderten Organismen. Die revolutionären Techniken der Manipulierung der Planzengenome werden, unter anderen Vorteilen, erlauben die landwirtschaftlichen Renditen auch in phantastischen Proportionen zu erhöhen, Getreide in der Wüste zu kultivieren und die Probleme des Hungers auf der Welt zu lösen. Man ist wegen den kollateralen und potentiell katastrophalen nicht gelösten Auswirkungen beunruhigt? Plötzlich haben die GVOs überhaupt nichts Revolutionäres mehr, der Mensch hat das Saatgut seit dem Neolithikum entwickelt, die natürliche Selektion selbst entwickelt ja das Genom seidemt es Leben auf Erden gibt, wir selbst sind doch GVOs und folglich ist ihre Bekämpung wie eine Militanz gegen die eigene Existenz. Kurz, wir müssen die Innovation der GVO bewundern, aber schön ruhig bleiben weil sie ja überhaupt nicht Neues an sich haben. Falls dieser Gegensatz, anstatt Verblüdung zu verursachen, den kritischen Sinn wach gehalten hat, bleibt das finale Argument: ob es passt oder nicht, die mit GVO kultivierten FLächen nehmen auf dem Planeten ständug zu, die Widerstandischen sind Nostalgiker, die in einer irreviersiblen Bewegung bloss Verspätungen anhäufen

Die eben skizzierte Struktur ist dermassen allgemein, dass wir ihre Mibiliserung zur Rechfertigung der gesellschaftlichen Einführung wirklich ausnahmslos aller technischern Geräte wiederfinden. Auch beim elektronsichen Buch –

  • Zuerst kommen die Vorteile, umwälzend: das elektornische Format erlaubt den unmittelbaren Zugang zu einem gigantischen Körper, it eine Revolution in der Verbreitung der Kultur und des Denkens, und erst diese nie dagewesene Interaktivität falls mit den entsprechenden Apparaten benutzt.
  • Danach, freie Bahn der Disqualifizierung der Sorgen, um die Innovation „auszubügeln“: es ist lächerlich zu glauben, dass da etwas Wesentliches auf dem Spiel steht, denn was zählt ist das Geschriebene, und nicht sein Träger; die das elektronische Buch scheel anschauen wären gegen den Übergang vom Papyrus zum Papier, von den Rollen zum Kodex, von der Handschrift zum Druck gewesen.

  • Und dann, wieso denn diskutieren: was die Nostaliger des Druckes in Gutenbergs Zeiten auch sagen mögen, das elektornische Buch wird sich unwiderstehllich durchsetzen.

Kommen wir doch rasch auf jeden dieser Punkte zurück, und beginnen beim Ersten. Der Gigantismus des zugänglichen Körpers – durch die Digitalisierung der antiken Werke und ihre Verfügbarkeit online zu bescheidenen Preise – hat doch a priori nur Vorteile. Aber schon wenig Reflektion genügt, um von diser idyllischen Landschaft icht begeister zus ein. Vor allem tut man sich gut daran sich zu vergegenwärtigen, dass für konstantes Lesen Kontentration notwendig ist, und dass diese Konzentration keinesfalls angeboren ist, da Lesen nicht Natürliches ist. Darum bedarf die Konzentration des Schutzes einer von Aussen kommenden Kanalisierung. Was der Fall ist wenn wir uns korrekterweise in einem ruhigen Raum und von äusseren Reizen abgeschrimt befinden. Und doch genügen Minimalkomfort und Stille alleine nicht, denn die Gefahr kommt von Innen. Denn, wie schon gesagt, läuft lesen nicht von alleine und setzt eine Art der Distanzierung von sich selbst voraus, die wir tendenziell immer aufgeben möchten. Wünsche ihr zu entfliehen kommen unausweichlich auf und müssen mehr oder weinger durch Anstrengungen unterdürckt werden, die man aufbringen muss um zur Tat zu schreiben. Nun sind aber genau die Anstrengungen das Ziel, das die taktilen Täfelchen abschiessen wollen. Wenn wir auf einer ihrer Seiten lesen und uns die Idee kommt eine andere Seite des Textes anzuschauen, Internet zu befragen, unsere Mailbox oder den Stand eines Matches in Roland Garros anzuschauen, erfodert der Übergang vom Wunsch zur Verwirklichung nicht als eine winzige Fingerbewegung. Und die Behaupunt, das elektronische Täfelchen bieten neben dem Buch, das wir gerade lesen, bloss zusätzliche Möglichkeiten an, die wir alle völlig frei wären nicht zu benutzen? Das ist genauso seriös wie die Behauptung, dass andauernde Barbesuche inen Alkoholiker, der entschieden hat nur noch Mineralwasser zu trinken, überhaupt keiner Rückfallgefahr aussetzen. Wir alle, solange wir leben, sind gegenüber den inhärent angebotenen Ablenkungen der elektronischen Täfelchen jgenau so verletzlich wie ein Alkoholiker gegenüber Flaschen, zu denen er nur zu greifen braucht – es bestehen Gelegenheiten, die schon lange vor ihrer Verfügbarkeit eine Versuchung darstellen. Klar, es gibt Geräte, die einzig die Lesefunktion haben (auf elektronsichen Papier, das vom Tageslicht und nicht von einem Bildschirminnenlicht beleuchtet wird). Aber diese Lesegeräte, nachdem sie den Markt dominiert haben, werden nun immer mehr von den Täfelchen bedränkt, die waschechte Computer sind wo Bücherlesen bloss eine in Dutzenden oder Hunderten weiteren ertränkte „Funktionalität“ ist. Bezeichnend ist da, wie Apple sein Material vorstellt2: „wenn ihr euren iPad in die Hand nimmt, wird er zur regelrechten Verlängerung euer selbst. Es ist genau diese Idee, die seiner innovativen Konzeption vorgestanden ist. Da es bloss 8,8 mm dick ist und federleichte 601gr wiegt, findet es in eueren Händen seinen natürlichen Platz. Und mit ihm wird doch alles so instinktiv, wie im Netz surfen, die eigenen Emails kontrollieren, einen Film anschauen oder ein Buche lesen, dass ihr euch fragen werdet, wie ihr es bis jetzt denn ohne geschafft habt“ (Hervorhebung Autor). Der iPad 2 ist mit einem Fotoapparat und zwei Videoaufnahmegeräten an beiden Seiten ausgerüstet, mit denen gleichzeitig gefilmt werden kann (man kann also nicht nur das aufnehmen, was man sieht, sondern auch das eigene Gesicht, das sich ob dem Betrachteten freut und man kann alles in Echtzeit mit den haufenweise Freunde „teilen“: ist das Leben nicht etwa wunderschön?), man kann die eigene Agenda verwalten, Botschaften erhalten und senden, Musik hören, die Presse konsultieren, oben am Bildschrim automatisch vom Eingang der Korrespondenz oder der Sportresultate infomiert werden, etc. Nun hat der Verkauf der Täfelchen jenen der Lesegeräte schon überflügelt, trotz eines eher derfigen Preises, aber das ist nichts als logisch. Eine gewisse Gewöhnung an die informatischen Mechanismen, die sie viel vertrauter als ein traditionelles Buch macht, und diese Gewöhnung ist mit der Vielzahlt von Aktivitäten verbungen, die sich heutzutage über den Bildschrim abwickeln. Daher ist das Lesegerät ein verführerisches Instrument: auch wenn man damit nur lesen kann, so verführt es doch unaufhörlich zu den zahllosen weiteren mit der Elektronik verbundenen Möglichkeiten; auch ohne Internetzugang stiftet es zur Bildschirm-Leseweise an, die im Vergleich zu jener, zu der ein Buch auf Papier führt, sehr verschieden ist – dermassen verschieden, dass, eigentlich, ein dauernder Gebrauch des Netzes progressiv zur Unfähigkeit führt so zu lseen, wie es bis vor kurzer Zeit die Mehrheit der lesenden Menschen taten. Nicholas Carr, der in einem Artikel von 2008 ein gewisses Aufsehen erregte, hat die Effekte von einem Jahrzehnt Internet auf ihn selbst unterstrichen: „Mich in ein Buch oder in einen längeren Artikel zu vertiefen war mit ein leichtes. Mein Geist war von der Geschichte oder den Wendungen des Argumentes eingenommen und ich konnte Stunden damit verbringen, rosse Weiten der Prosa zu durchstreifen. Nun geschieht das nur sehr selten. Jetzt beginnt sich meine Konzentration nach zwei-drei Seiten oft aufzulösen. Ich werde unruhig, verliere den Faden, suche nach einer anderen Beschäftigung. Ich habe den Eindruck, dass sich mein rebellisches Hirn andauernd wieder in den text zwingen muss. Das Eintauchen in die Lektüre, dass vorher natürlich war, ist zu einem Kampf geworden3.“ Carrs Artikel löste ein grosses Echo aus, denn zahllose Menschen konnten sich in seiner Beschreibung wiedererkennen. Da die schädlichen Auswirkungen des Netzes auf unsere Konzentrationsfähigkeit und unsere Anlage zur betrachtung belegt ist, ist die Schlussfolgerung zwingend: es ist schwachsinnig, denselben Trägern der Bücher jene Elemente einzuverleiben, die unsere Fähigkeit Bpcher zu lesen ruinieren. Ausser, selbstverständlich, wenn diese Vernichtung das damit verfolgte Ziel ist.

Wir werden weiter lesen, sicher, und es ist nicht ausgeschlossen, dass man heute sogar noch mehr liest, aber man wird anders lese. Die Erziehung der Gefühle wird vielleicht sehr tele-beladen sein, aber wenn es so wäre wird man sich nicht mit der Erforschung irgendwelcher Passagen des Romans begnügen, man wird versuchen diese oder jene Aussage irgendwo zu lokalisieren, man wird Abschnitte selektionieren, die dieses oder jenes Thema behandeln und man wird sich allenfalls gehen lassen und zufällig etwelche Seiten anlesen, aus Neugierde, bevor eine andere Neugierde uns anderswo hinführen wird4. Melville geschah, dass er eine gewisse Art und Weise des Schreibens heraufbeschwörte, die von Hawthorne und eher noch von ihm selbst praktiziert wurde: „die direkt darauf abzielte, die oberflächlichen Durchblätterer (the superfivial skimmer of pages) lächerlich zu machen, komplett lächerlich zu machen“; auf den Täfelchen wird es nur solcherarts Bummler haben, so monströs präzise und anscheinend hochgebildet sie sich in ihren Zitierungen auch darstellen könnten5. Für die Erwachsenen ist es für die Bewusstwerdung dieses Prozesses noch nicht zu spät. Was hingegen für die jüngeren Generationen nicht der Fall ist, die keine Ahnung mehr haben werden, was lesen in den vergangenen Jahrhunderten denn bedeuten konnte. Einige werden höchstens erahnen, dass es ewas ganz anderes gewesen sein musste – etwa in demselben Mass wie die Modernen den Abgrund erahnen können der zwischen ihrer Leseweise und jener der lectio divina in den Klöstern des späten Mittelalters liegt, wo es darum ging in der Stimme der Lesenden das Wort Gottes auszudrücken6.

Indem wir das erste Argument der Eiferer des elektronischen Buches bestritten haben (dessen Aufkommen ihnen gemäss eine ausserordentliche Chance für das Denken sei), haben wir auch belegt, dass das klassische Vorgehen zur Abwiegelung der Sorgen (unnötig sich Gedanken zu machen wegen dem, was ein simpler Trägerwechsel ist) hinfällig ist. Effektiv sind es genau die Eigenschaften – die die immensen zugänglichen Ressourcen – des Trägers, die das Gift in die Gabe des Denkes einführen, die einen tückiuschen Terfall des Denkens einfphren, das von diesen Ressourcen genährt werden sollte; das wesentliche Element ist nicht die Ersetzung des gedruckten Papiers durch den Bildschirm, sonder die zahllosen und permanenten Möglichkeiten zur Ablenkung, welche die Täfelchen dem Leser in Fingerreichweite anbieten, Möglichkeiten, welche die Konzentration untergraben, der es zur dermassen unnatürlichen Handlung wie es die Verfolgung eines Textes ist, wenn sie eine gewisse Menge überschreiten, bedarf. Damit das nicht standhalten kann, setzen die Eiferer des elektronsichen Buches ihren Gegnern eine Variation des Agrumentes „das ändert nichts“ entgegen. Einverstanden, räumen sie ein, etwas verändert sich schon, was sich aber nicht verändert ist, dass egal welche Innovation schon immer Widerstände hervorgerufen hat, die sich dann, nach einer gewissen Zeit, sowohl als nutzlos als auch lächerlich herausgestellte haben. Die Kritiken an der Veränderung, da sie in der alten und sich auflösenden Welt verwurzelt beliben, sind empfindlich für das, was man verliert aber sie stellen sich als unfähig heraus, dem Aufkommenden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; die Erfahrung beweist, dass die Welt von ihnen vorhergesagten Katastrophen immer überlebt hat, und sich sogar „zu Guten entwickelt“ hat.

Wir bemerken aber, dass, bezüglich der Verüstungen durch die sehr schnell und spektakulären Veränderungen der modernen Technik, unsere Distanz unegnügend ist um genügend wahrheitsgetreu von den vergangenen Geschenissen abzuleiten, dass die in den letzten Jahrhunderten begonnene Bewegung nicht zur Katastrophe führe würde. Abgesehen davon, denn alle Augen um zu sehen und Ohren um zu hören, ist die Diskussion um die Möglichkeit einer Katastrophe sinnlos, denn besagte Katastrophe ist schon im Gange. Es genügt der Vergleich zwischden dem, was heute „Altstadt“ genannt wird und den immensen suburbanen Flächen um in dem uns eigentlichen Bewohnen der Welt den Beleg eingeschrieben zu finden, dass das was wir als Fortschritt bezeichnen wenigstens seit einigen Jahrzehnten sich mit einem Krebsgeschwür verschwägert. Die Freunde des Desasters glauben ein definitives Argument zu haben gegen jene, die das Desaster als Desaster diagnostizieren, und behaupten eine solche Einschätzung sei rein subjektiv und belege bloss eine prinzipielle Feindseligktei gegenüber der Veränderung: mit einem der Innovationen gegenüber dermassen zänkischen Geist, versichern sie, würdern wir immer noch vor lauter Kälte in den Höhlen bibbern. Ein wahrlich schwaches Argument: wie wenn man die gegen die bösartige Zellteilung kämpfenden Onkologen insofern kritisieren würde, dass, wenn man den Fötus ihren Behandlungen unterziehen würde, dieser sich nie hätte entwickeln können7. Es geht nicht gegen die Zellteilung an sich, sondern um den Versuch, die Zellteilung zu verhindern wenn diese aus dem Ruder läuft, einfach weitermacht ohne Rücksicht auf das umliegende Gewebe und den Organismus, den sie letztendlich tötet; analog geht es nicht darum gegen Technik an sich zu sein, was absurd wäre, sondern gegen die Metastasen, die anstatt dem Leben zu dienen die elementarsten Voraussetzungen zu dessen Erblühen zerstören8.

Die Erfindung des Druckes und die darauf folgende Inflation des Geschriebenen gehört völlig zu diesem Tumor. Einerseits weil die Evolution der Welt in den Jahrhunderten ohne den Druck undenkbar ist, andererseits weil die Anhäufung von Schrifen sowohl Matrix als das Modell des allgmeinen kanzerogenen Prozesses ist. Der Enzyklopädie des XVII Jh. wohnte der dauerhafte Wunsch einer Totalisierung inne, obwohl schon darauf verzichtet worden war dieses Wissen organisch zu strukturieren, da die Artikel in alphabetischer Reihenfolge klassifiziert wurden. Seit dieser Zeit vermehrte sich das angehäufte Wissen gigantisch und entmutigte jegliche Hoffnung einer, wenn auch nur partiellen Totalisierung. Die grossen Bibliotheken, die Millionen Werke versammeln (mehr als dreissig Millionen Druckerzeugnisse in der Kongressbibliothek, ungefähr die Hälfte in der British Library oder der Bibliothèque nationale de France), sind nicht Orte der Anhäufung von Wissen, sondern Zeugen der Unmöglichkeit Wissen anzuhäufen, Orte der Unverhältnismässigkeit, die für die Menschenwesen, da diese von der Gesamtheit des von ihnen Produzierten vun Abgelegten total überragt werden, erdrückend sind, und die Menschen werden immer winziger vor der Masslosigkeit, in der die Anzahl Werke und Dokumente in ihren Rperoires kolossal wird. „Eindrücklich ist vor allem die Fettleibigkeit aller aktueller Systeme, diese „teuflische Schwangerschaft“, wie Susan Sontag vom Tumor sagt, nämlich die unserer Informations-, Kommunikations-, Lagerungs-, Produktions- und Zerstörrungsvorrichtung, die dermassen aufgebläht sind, dass sie uns nicht mehr dienen können. (…) In dieser erstaunlichen Nutzlosigkeit liegt ein besonderer Ekel. Es ist der Ekel einer sich vermehrenden Welt, die sich hypertrophiert, die nicht zu gebären vermag9.“ Gegen diese Proliferation nützt die Digitalisierung überhaupt nichts. Wenn wir die schreckliche Unverhältnismässigkeit zwischen kolmeterlangen Regalen und den Massen unseres Körpers in Betracht ziehen würden, wenn wir und mit der materiellen Offensichtlichkeit auseinandersetzen würden, dass das, was uns hätte „verbessern“ sollen, uns nur schon deswegen machtlos macht, weil es jegliches menschliche Mass übersteigt, dann hätten wir eine Chance um un serneut aufzurappeln, zu überdenken was es sich niderzuschreiben, zu drucken, zu katalogisieren und aufbewahren lohnt. Die Digitalisierung und die Miniaturisierung, womit man eine Enzyklopädie auf eine DVD quetschen kann, ist eine Art und Weise der Zurückweisung dieser Chance, ist dem kanzerogenen Prozess erlauben weiterzumachen. Die Lesetäfelchen sind ein Überlebensinstrument in einer unbewohnbar gewordenen Welt, die in dem Masse immer unbewohnbarer wird, in dem solche Überlebenmittel erfunden wurden.

Es gibt wohl einen Punkt, wo jene vollkommen richtig liegen, die das elektornische Buch willkommen heissen, und zwar die Tatsache, dass sich ein baldiger Siegeszuga als unausweichlich präsentiert. Das in einem buch getätigte Lesen setzt ein Subjekt voraus, das selber mit einer gewissen Kontinuität ausgerüstet ist, die in dem Masse orblematisch wird, in dem das kondumistische Verhalten sich der kleinsten Momente und vor allem der Freizeitmomente der Existenz aneignet. Günter Anders hatte dier Erscheinung schon vor einem halben Jahrhundert beschrieben: „In der zweiten seiner Meditationen sagte Descartes es sei unmöglich „ die Hälfte keiner Seele vorzustellen“. Heutzutage ist eine in zwei Stücke gehauene Seele eine alltägliche erscheinung. Es sit sogar der charakteristischste Zug des zeitgenössischen Menschen, wenigstens in seiner Freizeit, nämlich seine Tendenz sich zwei oder mehreren unterschiedlichsten Beschäftigungen gleichzeitig zu widmen. Der mnesch beim Sonnebaden, z.B., bräunt sich den Rücken während er eine Zetschrift anschauf und seine Ohren einen Match verfolgen und seine Kiefer einen Kaugummi kauen. Diese Figur vom passicen und faulpelzigen hyperaktiven Orchester-Mensch ist eine alltäglich und internationale Erscheiung. Die Tatsache, dass sie ein Selbstläufer ist und wir sie als etwas Normales akzeptieren, macht sie nicht weniger interessant. Sie verdient, im Gegenteil, einige Klärungen. Würden wir diesen sonnenbadenden Menschen frage, aus was denn seine Betätigung „eigentlich“ bestehe, wüsster er gar keine Antwort. Denn diese Frage über was ihm „eigen“ wäre, basiert schon auf einer falschen Voraussetzung, nämlich als wäre er noch das Subjekt dieser seiner Betätigung und Entspannung. Wenn man hier überhaupt von „Subjekt“, im Singular oder Plural, sprechen kann, dann nur bezüglich seiner Organe: Seine Augen, die sich auf ihren Bildern aufhalten, die Ohren die ihrem Match zuhören, sein Kiefer, der seinen eigenen Kaugummi kaut, kurz, seine Identität ist dermassen destrukturiert, dass. Falls man zur Suche „seines Selbst“ aufbrechen würde, man ein Objekt suche würde, das es nicht mehr gibt. Es ist nicht nur (wie vorher) in einer Vielzahl von Orten zerronnen, sondern in einer Pluralität von getrennten Funktionen10. “ Diese in den 1950er Jahren gemachten Betrachtungen lassen uns ermessen, dass die Bildschrime, Internet und die Multifunktionalität der Apparate nicht bloss eine Ursache der Schwierigkeiten des zeitgenössischen Menschen sind, seine Aufmerksamkeit zu fixieren um sich zu konzentrieren, um zu meditieren, um geduldig bloss eine Aktivität auszuführen, sondern sie schreiben sich auch in eine allgmeine Dynamik ein, in eine immer stärker forvierte Entwicklung der Konsumgesellschaft, die zur Verwandlung des Menschenwesens, zur progressiven Mutierung des modernen Subjektes, das sich vorher um sich selbst kümmerte, in ein Bündel führt, das von Bedürfnissen, Appetiten und Wünschen angebtrieben wird, die ihre Befriedigung in dem suchen, was der Markt ihnen anbietet (uns sei das schlotternde „Ich“ noch so unglaublich von sich eingenommen, das es sich zu diesen Bedürfnissen, Appetiten und Wünschen bekennt als wären es seine eigenen). In einem derartigen Kontext neigt das altmodische Buch – wegen seiner stillen Anwesenheit, seinem ruhigen Zugegensein, gleichzeitig kompakt und zerblättert, in seiner ZUsammensetzung als berührbares Objekt, das an ein selber kompaktes Subjekt erinnert – dazu ein Unwohlsein auszulösen, unerträglich zu werden. Wenn es weiterhin seinen Platz in dern Wohnungen finden wird, so warhscheinlich als Antiquität, als Verzierung der Regale, ähnlich den Pfannen, die an den Wänden der Ferienwohnungen hängen und in denen nicht mal im Traum jemandem einfallen würde etwas zu kochen. Dem fügt sich die technisch – wirtschaftliche Logik an, die folgende Skandal doch nicht zulassen kann: dass das dermassen wesentliche Glied, welches das Buch im Aufkommen der Modernität einmal war, sich im Verlaufe der Jahrhunderte dermassen karg modernisiert hat, dass es, in unserer Epoche, die Gestalt eines unangemessenen vorindustriellen Fossils angenommen hat. Von allen Blickwinkeln her ist das traditionelle Buch zu träge zu dauerhaft: für die labilen Menschen mit ihrer Versuchung es zu lesen, und für eine Wirtschaft, die auf der beschleunigten Veraltung der Produkte basiert (klar, vorausgesetzt die Bpcher seien gut hergestellt), während die Zerbrechlichkeit und die konstanten Evolutionen der Informatik dazu zwinge, das Material viele Male in einem Leben zu wechseln.

Da die Dinge so stehen, wird das Reich des elektronischen Buches sehr viel kürzer sein als jenes des gedruckten Buches. Die Dauer seines Triumphes wird beschränkt sein, auch wenn es schwer sein wird, wie es Jacques Attali in seinen Voraussagen kann, genaue Termine festzulegen. Die aktuellen Sackgassen der kapitalistischen Ökonomie bemühen sich sehr festzustellen, dass Letztere sich dank dem entwicklt hat, was Ernest Renan „die alten Ökonomie des Globus“ genannt hat und deren Auslaufen er vorhersagte, und wegen der Tatsache, dass sie sich auf de in der Vergangenheit aufgehäuften Grundlage, sowohl materiell als auch moralisch, entwicklet hat und sie sich nicht darum gekümmert hat sie zu erhalten oder zu erneuern, sodass man begonnen hat den Boden des Fassen auszukratzen, sodass sowohl die natürlichen Ressourcen als auch die Wesen knapp werden, die sie in Bewegung halten können. Ähnlicherweise können die zeitgenössischen Gesellschaften wohl Maschinen unerhörter Komplexität ausdenken und fabrizieren, aber dies Fähgikeit ist in einer Zivilisation des gedruckten Buches verwurzelt, und in den von diesen Bpcher ausgebildeten Köpfen und der davon erforderten Leseweise. Ohne diese Form des Lesens, zu deren Eliminierung die eingesetzten Instrumente beitragen, kann die Bewegung eine Weile ihren Schwung behalten, aber nicht unendlich, und nicht mal allzu lange. Schlussendlich könnte das Reich des letzten Menschen nicht so dauerhaft sein wie Nietzsche es vorausgesagt hat, in dem Masse in dem seine Existenz immer mehr von einer Maschinerie abhängig ist, die zu erhalten er sich mit seiner sprunghaften Aufmerksamkeit unfähig erweisen wird. Wie Curtis LaForche, die zentrale Figur im von Jeff Nichols inspirierten Film Take Shelter seinen verblödeten Mitbürgern sagt: „There is a bad storm coming, and you are not ready. – Da zieht ein wüster Sturm auf, und ihr seid nicht bereit.“ Eben, wir sind überhaupt nicht ready. Die Gefahr steigt, die Fähigkeiten ihr entgegenzutreten nehmen ab, und sie nehmen mit dem allgemeinen Gebrauch der Täfelchen noch schneller ab, deren Bildschirm, im Herzen des Sturmes, völlig leer bleiben wird.

1Siehe, z.B. die Declaration in Defense of Cloning and the Integrity of Scientific Research, veröffentlicht 1997 vom Council for Secular Human, und u.a. von Francis Frick, Edward O. Wilson, Richard Dawkins, Simone Veil unterschrieben

(http://www.secularhumanism.org/libary/fi/declaration_17_3.html).

2Ende 2011; sechs Monate nachher wird da unglaublich innovative Material schon obsolet sein, und von einem noch revolutionären Modell ersetzt werden.

3„Is Google Making Us Stupid?“, The Atlantic Magazine, Juli-August 2008.

4Michel Serres wundert sich: „Wenn ich einen lateinischen Text im Kopf habe, dann gebe ich einige Worte ein und alles kommt: das poem, die Äneis, das IV Buch … (…) Stellt euch vor, der Planet, die Menschheit, die Kultur sind in Reichweite aller, dieser riesige Fortschritt!“ (Libération, 3. September 2011, Auszug aus einem Interview voller Ausrufezeichen und Perlen purer Dummheit). Serre folgert aus dem Wachstum der elektronischen Ressourcen („Wir leben in einem Raum … Neuseeland ist hier, in meinem iPhone! Ich bin immer noch völlig verzückt davon!“), dass die Bücher und Professoren in die Rumpelkammer der geschichte gehören, und anscheinend kommt ihm nicht in den Sinn, dass das Interesse und die Freude an der Äneis nichts Spontanes sind und nicht auf dem Bildschrim entstehen, abgesehen davon, dass seine Art und Weise um auf jung zu machen, in der er den Trip der neuen Technologien feiert, eher Kennzeichen von Senilität ist.

5Carr, im schon zitierten Artikel, unterstreicht: „Vorher war ich ein Taucher im Ozean der Worte. Nun gleite ich auf der Oberfläche wie eine Art Motorroller der Ozeane.“ Diese Ausrücke scheinen die Worte Melvilles heraufzubeschwören, den Carr als Jugendlicher wohl gelesen hat, in Zeiten, in denen es noch keine Jetski gab: „Ich liebe alle Menschen, die eintauchen.“ Melville selbst fühlte sich sich jenem „Körper der Taucher des Denkens“ angehörig, „die, seit den Anfängen der Weilt eintauchten und mit blutunterlaufenen Augen wieder an die Oberfläche kamen“ (Bief an Evert Duyckinck, 3. März 1849).

6Nach Ivan Illich muss die aktuelle Verwandlung des Lesens als, sobald die informatischen Mittel verfügbar waren, als eine Folge begriffen ewrden, die weit von jedem Lesen enfernt ist, das in mittelalterlichen Zeiten gepflegt wurde: „Es beginnt (XIII Jh.) eine Mutierung des wichtigsten Inhaltes des Verbs „lesen“, ein Inhalt der erst mit unserer neuen Generation in seinem ganzen Horror hervortreten wird, wo sich die Computer gegenseitig lesen“ („Lectio divina dans la haute Antiquité et dans l’Antiquité tardive“ (1993), in La Perte des sens, Üb. Von Pierre-Emmanuel Dauzat, Fayard, 2004, S. 166).

7Argumente gegenn die Praktiken der modernen Medizin gibt es zuhauf, aber nicht dieses.

8„Es ist sicher schwierig zu sagen wo das „Ja“ (für die Technik) aufhören muss um einem „Nein“ Platz zu machen. (…) Eine der hauptsächlichsten Pflichten der Philosophie der Technik wird sein den dialektischen Punkt zu entdecken und zu bestimmen, wo unser „Ja“ sich in Skeptizismus oder in ein unbeirrbares „Nein“ verwandeln muss“ (Günther Anders, Die Antiquiertheit des Mensche – II: Über die Zerstörung des Lebens in der Zeit der dritten industriellen Revolution (1979), franz. Üb. Christophe David, Paris, Fario, 2011, p. 127). Wahrer ist aber: eher als eine raffinierte Philosophie der technik genügt heute einfach der gesunde Menschenverstand um festzustellen, dass der Punkt, wo man das Ja in ein Nein verwandeln muss, in eigentlich allen Bereich überschritten worden ist.

9Jean Baudrillard, La Transparence du mal – essais sur les phénomènes extrémes, Paris, Galilée, 1990, S. 39.

10Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der 2. industriellen Revolution (1956), französische Übersetzung von Christophe David, Paris, Éditions de l’Enclypédie des nuisanves/Ivrea, 2002, S. 160 – 161.

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